Dienstag, 28. Mai 2013

Wenn die Glocken läuten, regnet es nicht




Gestern gab es im Theater Paderborn unter dem Titel „Wenn die Glocken läuten, regnet es nicht“  ein  Portrait verschiedener in Paderborn lebender Frauen.  Es wurde szenenartig dargestellt und mit Fotos und Musik vertieft.
Erinnerungen meiner türkischen Freundin Sabiha waren dabei, und so beschlossen wir, uns das Stück gemeinsam anzuschauen.
Sabiha lebte als Kind mit ihrer Familie in einem kleinen Dorf in der Türkei. Ihr Vater verließ die Familie, als sie vier Jahre alt war, um in Deutschland zu arbeiten. Er zog nach Augsburg und blieb dort vierzehn Jahre lang. Nur zur Urlaubszeit kehrte er nach Hause zurück. Ansonsten versorgte er die Familie mit Geld, Geschenken und Fotos.
Ein Foto war Sabiha besonders präsent, es war so lebensfroh und auch so fremd. Ihr Vater stand eingerahmt von blonden Frauen, die ein tief ausgeschnittenes Dirndl trugen, und strahlte in die Kamera. Solche Kleider, wie diese Frauen trugen, hatte Sabiha noch niemals gesehen, und sie prägte sich jede Einzelheit ein. Von da an machte sie sich auf die Suche, schaute auf jedem Bazar und in jedem Geschäft, aber sie fand nichts, das diesen Kleidern ähnlich war. Hin und wieder kaufte sie sich Rüschenblusen, und versuchte auf diese Weise, ihrem Vater nahe zu sein.
Nun lebt Sabiha seit 20 Jahren in Deutschland, und vor kurzem hat sie sich ein ziemlich blumiges Kleid mit Rüschen gekauft – so ein richtiges „Mädchenkleid“, wie sie sagte. Und ein bisschen hatte es tatsächlich was von einem Dirndl. Da kamen diese Erinnerungen wieder.
Wie stark, dass selbst solche "freien Entscheidungen" wie die Wahl eines Kleides von einem tiefer liegenden Kindheitserlebnis geprägt sein können…

(Foto: Avignon)

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